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Das Gesunde in dir

Gesundheit – eine Frage der Gene? Auch. Aber das ist noch lange nicht alles. Wie oft wir Gemüse essen, wie konsequent wir Sport treiben oder zu Vorsorgeuntersuchungen gehen, sprich: wie gut wir zu uns sind, hängt stark von unserer Persönlichkeit ab.

Tipp von der Expertin:

„Sich nicht zu viel vornehmen, sondern erst mal mit einer kleinen Sache anfangen."

Eva Asselmann, Professorin für Differentielle und Persönlichkeitspsychologie an der HMU Potsdam

Gesundheit ist komplex

Wie gesund ein Mensch ist, entscheiden nicht nur unsere Gene, es ist auch eine Frage unseres Verhaltens und unseres Denkens und der Entscheidungen, die daraus folgen. Wie gut wir zu uns sind und wie sorgsam wir unseren Körper und unsere Seele pflegen. „Gesundheitsverhalten“ nennen Fachleute jenes Verhalten, das unserer Gesundheit zuträglich ist, sie fördert und erhält und damit zu einer höheren Lebenserwartung beiträgt. Wir alle sind unterschiedlich gut darin. Doch weshalb? Die Antwort: Es ist eine Frage der Persönlichkeit.

Das Wesen des Menschen verstehen

Um zu verstehen, wie die Persönlichkeit unsere Gesundheit beeinflusst, müssen wir uns anschauen, wie das Wesen des Menschen entsteht. Eva Asselmann, Professorin für Differentielle und Persönlichkeitspsychologie an der Potsdamer Health and Medical University (HMU), bringt diese komplexe Materie griffig auf den Punkt: „Persönlichkeit sind Merkmale, in denen sich Menschen voneinander unterscheiden, und die unser Denken, Fühlen und Verhalten steuern.“ Die Forschung unterscheidet fünf grundlegende Züge der Persönlichkeit, mit denen man einen großen Anteil dieser Unterschiede beschreiben kann: die sogenannten Big Five.

Die „Big Five“ und unsere Gesundheit

Diese fünf Persönlichkeitseigenschaften sind das Resultat jahrzehntelanger Forschung. Sie ermöglichen es, die menschliche Persönlichkeit zu erfassen, Kategorien zu bilden und daraus Erkenntnisse abzuleiten. Für die Gesundheitsforschung beispielsweise, die auf Basis der Big Five gewinnbringende Zusammenhänge zwischen der Persönlichkeit eines Menschen und seiner Gesundheit entdecken konnte. Und obwohl jedes der Big-Five-Merkmale sich auf unsere Gesundheit auswirkt, zeigt sich eines als besonders einflussstark: die Gewissenhaftigkeit.

Gesundheit als Pflichtprogramm

„Gewissenhaftere Menschen sind im Durchschnitt gesünder, weil sie ein gesünderes Leben führen“, erklärt Prof. Eva Asselmann. Sie sind tendenziell pflichtbewusst und diszipliniert und achten entsprechend darauf, dass sie sich gesund ernähren, dass sie Sport treiben, ausreichend Schlaf bekommen und ihre Vorsorgeuntersuchungen regelmäßig wahrnehmen. So sind gewissenhaftere Menschen unterm Strich bedachter, was einen gesunden Lebensstil betrifft. „Gewissenhaft zu sein bedeutet, dass ich geordnet, zielstrebig und aufgeräumt bin, dass ich Regeln und Vorgaben pflicht­bewusst nachgehe“, so Asselmann. „Das bezieht sich quasi auf alle Lebensbereiche, eben auch auf die Themen Gesundheit und gesunder Lebensstil.“ Bei den Gewissen­haften gehört gesundes Verhalten quasi zum Pflichtprogramm.

Gefahr für unsere Psyche

Anders verhält es sich zum Beispiel beim Neurotizismus. Menschen mit einer hohen Ausprägung dieses Persönlichkeitsmerkmals erscheinen oft aufgeregt, unsicher, leicht reizbar und nervös, unzufrieden und mit einer Tendenz zur Schwermut. Im Gegenzug sind Menschen mit geringeren Neurotizismuswerten emotional stabiler und weniger ängstlich; solche Menschen erscheinen ruhig, gelassen und ausgeglichen. Und diese Gemütszustände haben vor allem Einfluss auf unsere mentale Gesundheit. „Emotional stabile Menschen sind in der Regel stressresistenter, weniger anfällig für negative Emotionen“, so Prof. Asselmann, „wohingegen weniger emotional stabile Personen, tendenziell stressanfälliger sind, sensibler, nervöser, ängstlicher.“

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Gesunder Körper, gesunder Geist

Und das ist im Hinblick auf unsere Gesundheit nicht zu unterschützen: Eine geringe emotionale Stabilität ist der größte Risikofaktor für psychische Störungen oder mentale Probleme, wie zum Beispiel Angsterkrankungen oder Depressionen. „Aber auch Substanzkonsum kommt als Gesundheitsproblem dazu. Denn instabilere Menschen versuchen eher, ihren Stress zu betäuben, und greifen deshalb mit einer höheren Wahrscheinlichkeit zu Mitteln wie Nikotin oder Alkohol.“

Die Big Five verdeutlichen, dass es auch von sozialen Merkmalen abhängt, wie gesund wir bleiben. Die Persönlichkeitsmerkmale Extraversion und Verträglichkeit zeigen, dass Menschen mit hohen Ausprägungen in diesen Merkmalen im Schnitt gesünder sind. Extravertierte Menschen sind tendenziell gesellig, lebhaft, gern unter Leuten.

Der Mensch braucht Menschen

Verträglichere Menschen sind in der Regel freundlich, harmoniebedürftig und daran interessiert, mit anderen Menschen gut zurechtzukommen. Entsprechend fällt es ihnen leichter, stabile und innige Beziehungen und Netzwerke aufzubauen, auf die sie in Krisenzeiten zurückgreifen können. „Wir wissen, dass soziale Beziehungen für die mentale Gesundheit überaus wichtig sind“, sagt Prof. Asselmann. „Da ist einmal die soziale Unterstützung, die wir daraus erfahren, aber auch einfach das Zusammensein mit anderen Menschen. Das hebt die Stimmung, das macht uns robuster, widerstandsfähiger.

Die „Big Five“ der Persönlichkeit:

  • Offenheit
  • Neurotizismus
  • Verträglichkeit
  • Extraversion
  • Gewissenhaftigkeit

Wie die Persönlichkeit entsteht

Wenn unsere Gesundheit offenbar so stark von unserer Persönlichkeit beeinflusst wird, stellt sich natürlich die Frage: Wie werden wir, wie wir sind? Es gibt im Wesentlichen zwei Komponenten, die unsere Persönlichkeitsentwicklung bestimmen: unsere Gene und unsere Umwelt. Beide Faktoren wirken auf komplexe Weise zusammen. Hier kommt unseren Eltern naturgemäß eine Schlüsselfunktion zu. Denn sie sind es, die unser genetisches Erbe bestimmen und gleichzeitig meist unser erstes und deshalb prägendstes Umfeld sind. Nehmen wir als Beispiel das letzte Big Five-Merkmal „Offenheit für neue Erfahrungen“. Wie offen und neugierig wir sind, wie gern wir neue Dinge ausprobieren, wird uns zum einen vorgelebt.

Offen in alle Richtungen

Haben wir Eltern, die uns ermutigen, offen zu sein, und diese Offenheit selbst leben, können wir diese Seite besonders gut entwickeln. Zum anderen hängt dieses Merkmal auch stark mit unserer Intelligenz und Kreativität zusammen und somit mit unserem genetischen Erbe. Offen zu sein kann sich sowohl positiv als auch negativ auf unsere Gesundheit auswirken: Wenn ich schneller und flexibler kreative Lösungen für Proble­me finde, kann dies meine Selbstwirksamkeit stärken und mir in Krisenzeiten weiter­helfen. Wer offen für Neues ist, kann jedoch gleichzeitig auch experimentier­freudiger mit Dingen sein, die unserer Gesundheit schaden, zum Beispiel Drogen.

Kann ich mich zum Gesünderen ändern?

Doch was, wenn mir ein gesunder Lebensstil nicht in die Wiege gelegt wurde? Wie groß sind meine Einflussmöglichkeiten, vor allem im Erwachsenenalter? „Zu einem gesünderen Lebensstil zu finden, ist in jedem Alter sinnvoll“, so Prof. Asselmann. Einer der wichtigsten Schritte: „Alte Muster zu durchbrechen und neue Gewohnheiten zu etablieren. Und diese neuen Verhaltensweisen dann wirklich über einen langen Zeitraum an den Tag zu legen.“ Denn im Schnitt dauert es sechs Wochen bis zu drei Monate, bis sich eine neue Routine ansatzweise eingeschliffen hat.

Tipp von der Expertin: sich nicht zu viel vornehmen, sondern erst mal mit einer kleinen Sache anfangen. „Wenn man alles auf einmal verändern möchte, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass man sich übernimmt und scheitert. Also erst mal kleine Erfolgserlebnisse schaffen und dann mit dem nächsten Schritt durchstarten.“

Bildnachweis

Artikeleinstieg: Aleksandar Novoselski (stocksy.com)
Im Text: RgStudio (istockphoto.com)

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