Lesezeit ca. 3 Min.

Aus der Bahn geworfen: Was steckt hinter einer Lebenskrise?

Das Wort „Krise“ begegnet uns in vielen Bereichen: Politik, Wirtschaft, dem Eheleben. Aber auch wir selbst können ganz für uns allein in eine Krise geraten. Manche dieser „Lebenskrisen“ folgen jedoch einem Schema – und sie ereilen viele von uns.

Die Welt steht Kopf

Es gibt Ereignisse in unserem Leben, die stellen unseren Alltag auf den Kopf und werfen uns aus der Bahn. In unseren Augen ist dann nichts mehr wie zuvor. Die Auslöser dafür sind ganz unterschiedlich: Sie reichen von Naturkatastrophen und Wirtschaftskrisen über einschneidende Erlebnisse im Beruf bis hin zu persönlichen Verlusten. Manchmal können wir aber auch in Krisen geraten, deren Auslöser nicht nur in der Welt da draußen liegen. Die Quelle für ein kritisches Lebensereignis kann auch in uns selbst liegen: zum Beispiel im Verlust von Illusionen, wenn wir bemerken, dass ein guter Freund gar keiner war – oder wir eine ärztliche Diagnose erhalten, die uns erschüttert.

So fühlt sich Krise an

Wir haben das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Wir sind orientierungslos – ohne Plan, wie es weitergehen kann. Das löst heftige Reaktionen aus: Wir schlafen schlecht, haben keinen Appetit und verlieren die Lebenslust. Haben wir traumatische Erfahrungen gemacht, erleben wir die Bedrohung unserer Existenz. Übersteigen Ereignisse unsere Belastbarkeit bei Weitem, dann können wir Ohnmacht erleben und unsere Handlungsfähigkeit verlieren. Dies mündet dann in eine Lebenskrise. Aber was genau ist überhaupt eine Krise?

Krise: Der Kampf mit dem Wendepunkt

Der Begriff „Krise“ leitet sich aus dem griechischen Wort „krisis“ ab. Es bedeutet in etwa Streit oder Entscheidung nach einem Konflikt. Die Wortwurzeln gehen zurück auf das Wort „krinein“ und verweisen darauf, dass Krisen Gewohntes unterbrechen und ein einschneidendes Geschehen beschreiben. Wir gebrauchen das Wort „Krise“ in vielen Bereichen: in der Wirtschaft, in der Versorgung, in der Politik. In der Medizin markiert eine Krise einen Wendepunkt innerhalb eines Krankheitsverlaufs, an dem sich die Frage über Leben oder Tod entscheidet. Ein wichtiges Merkmal der Krise ist der Wendepunkt im Geschehen – mit unsicherem Ausgang.

Jeder geht anders mit einer Krise um

Lebenskrisen sind Situationen, die zeitlich umgrenzt sind. Wir erkennen, dass unser Alltag so, wie wir ihn bisher erlebt haben, nicht mehr existiert und auch nicht mit einer einfachen Lösung wiederhergestellt werden kann. Ein kritisches Lebensereignis droht dann in einen krisenhaften Verlauf zu münden, wenn wir immer weniger Handlungsmöglichkeiten entdecken und wir erleben, dass wir die Fähigkeit zur Problemlösung nicht besitzen. Unsere Gefühlswelt wird instabil. Wir sind tief verunsichert, wissen nicht, was wir wollen und was nicht. Wir haben keinen Plan, wie wir unser Ziel auch auf anderen Wegen erreichen können. Einige Menschen sind plötzlich hyperaktiv, andere völlig antriebslos und zutiefst verzweifelt. Es gibt aber auch Menschen, die ihre Lebenskrise sehr gut verstecken können. Dann ist diese für die Menschen um die Betroffenen herum von außen nicht oder nur schwer erkennbar.

Klassische Wendepunkte, die Krisen auslösen können

Auch wenn man es gern anders hätte: Krisen gehören zum Leben dazu. Der amerikanische Psychoanalytiker Erik Erikson sagt über Lebenskrisen: „Sie sind unabdingbarer Bestandteil jeder gesunden menschlichen Entwicklung, sie treten periodisch immer bei einem Übergang von einem Lebensabschnitt zum anderen auf. Sie sind Nahtstellen und Wendepunkte am Beginn einer neuen Lebensphase.“ Diese Wendepunkte, von denen Erikson spricht, gibt es bei den meisten von uns und sie erwarten uns im Laufe des Lebens immer wieder. Je nach psychischer Konstitution und individuellen Rahmenbedingungen können sie für uns zu einer Krise werden.

Klassische Wendepunkte sind zum Beispiel:

  • Körper: Wir werden älter, erkranken vielleicht, erleben Einschnitte wie Wechseljahre – hier spielen die Hormone erneut eine Rolle. Viele Menschen leiden darunter, dass sie mit dem Alter an Energie und körperlicher Leistungsfähigkeit verlieren.
  • Soziale Beziehungen: Beziehungen zu Partnern oder Partnerinnen zerbrechen, neue Partnerschaften entstehen, vielleicht heiraten wir, bekommen Kinder. Diese gehen irgendwann aus dem Haus, wir werden Großeltern. Wir können einsam werden, wenn der Partner oder die Partnerin verstirbt.
  • Beruf: Die Schullaufbahn endet, wir studieren, machen eine Ausbildung, scheitern vielleicht, machen Karriere oder schaffen den beruflichen Erfolg nicht. Irgendwann gehen wir in Rente.
  • Gesellschaft: Gerade die globalen Krisen wie Corona und der Ukrainekrieg lösen tiefgreifende politische und ökonomische Umwälzungen aus. Sie verändern das gesellschaftliche Klima. Auswirkungen der Krisen machen sich auch in unserem Privatleben stark bemerkbar.
  • Technologie: Die Digitalisierung prägt den beruflichen Alltag und verändert ihn ständig. Die Anforderungen werden komplexer und wechseln immer wieder.

In bestimmten Phasen in unserem Leben jedoch sind wir für Lebenskrisen leichter anfällig, zum Beispiel in der Pubertät, in der Entwicklungsphase zwischen 20 und 30 oder in der Lebensmitte – die bekannte Midlife-Crisis.

Tiefpunkt in der Lebensmitte: die Midlife-Crisis

Die Lebensmitte, wieder eine „Nahtstelle“ im Leben, ist allgemein eine krisenanfällige Zeit, eine beunruhigende Phase, häufig voller Selbstzweifel und Mutlosigkeit – ähnlich wie die Pubertät oder die Pensionierung, die oft krisenhafte Übergangsphasen sind. Viele Menschen reflektieren und überprüfen, wie ihr Leben bis jetzt verlaufen ist. Nicht selten stellen sie die Sinnfrage und es wird Bilanz gezogen. Und haben sich bestimmte Wünsche in Bezug auf Familie, Beruf oder Freunde nicht erfüllt, löst das eine tiefe Verunsicherung aus und der Wunsch kommt auf, Dinge nachzuholen.

Quarter-Life-Crisis: Niemands­land zwischen 20 und 30

Junge Menschen zwischen 20 und 30 Jahren müssen herausfinden, welcher Weg beruflich und privat der richtige für sie ist. Besonders in unsicheren Zeitenm eine immense Aufgabe. Die Sorge um die Zukunft gab es zwar in jeder jungen Generation. Aber heute leben wir in einer hochkomplexen Welt, die sich immer schneller dreht – bedroht durch den Klimawandel, befeuert von der Digitalisierung und beeinflusst durch soziale Medien, die uns auf ihren Kanälen Scheinwelten mit perfekten Leben präsentieren. Wer sich vergleicht, kann nur verlieren. Die Krise wird oft dann aus­gelöst, wenn sich der Lebensstatus ändert: zum Beispiel, wenn das Studium endet, die Beziehung oder der Job. Bei jungen Menschen kann das Angst, Orientierungs­losigkeit und Überforderung auslösen. Sie befürchten, den Erwartungen nicht gerecht zu werden. Längst gibt es Studien zur Quarter-Life-Crisis, die zeigen, dass sie nicht nur bei einzelnen Menschen auftritt, sondern ein ernst zu nehmendes Phänomen ist.

Die Chance in der Krise

Wenn es uns gelingt, egal in welcher Krise bewusst innezuhalten und herauszufinden, was uns wirklich wichtig ist und wohin die Reise gehen kann, haben wir die Chance, etwas Positives aus der Krise mitzunehmen. Bei der Lebenskrise im mittleren Alter beispielsweise können wir ein Potenzial nutzen, das wir vorher nicht hatten. Denn oft haben wir jetzt eine Art innere Freiheit – anders als in der ersten Lebenshälfte, in der wir viele Kompromisse machen mussten. Diese können wir nutzen, aus diesem Potenzial können wir Kraft schöpfen und zu unseren eigenen Bedürfnissen stehen. Und uns bewusst machen: Die Krise ist Symptom eines Übergangszustands. Und genau wie dieser Übergang ist auch die Krise meist irgendwann gemeistert. 

Bildnachweis

AegeanBlue (istockphoto.com)

Zum Weiterlesen: