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Ist mein Kind ein Picky Eater?

Iiih, das ist bäh! Vernichtende Kommentare am Essenstisch lassen viele Eltern verzweifeln. Aber warum sind Kinder oft so wählerisch beim Essen? Sind sie wirklich Picky Eater? Und was können Eltern dagegen tun? Gute Nachrichten: Die Kinder haben triftige Gründe und Eltern viele Wege, das zu ändern.

Mahlzeit! Stress am Familientisch

Es ist 12 Uhr, Mittagessenzeit, der Tisch ist gedeckt – und der elterliche Puls steigt. Denn da ist es schon wieder: das kleine Gesichtchen, das sich angewidert zusammen­zieht. Die gerümpfte Nase, die zusammengepressten Lippen, kleine verkniffene Augen. „Bäh, das ist eklig!“ Und zack, geht der Stress los. „Broccoli Schatz, das ist ganz lecker, und soooo gesund! Probier‘ doch wenigstens mal.“ Und während sich die Eltern abmühen, wenigstens ein blanchiertes Röschen in den Kindermund zu argumentieren, werden sich die Kleinen ihrer Sache nur noch sicherer: „Nein, das ist bäh!“ Das Ende vom Lied: Frust. Und zwar auf allen Seiten.

Hallo Autonomie! Die Sache mit dem eigenen Willen beim Essen

„Eine klassische Stressspirale“, sagt Ernährungswissenschaftlerin Brinja Hoffmann. „Eltern wollen ihr Kind natürlich ausgewogen ernähren, treffen dann aber auf einen kleinen Menschen, der da so gar nicht mitspielen möchte.“ Gemüse bäh, Obst auch, am besten nur Nudeln ohne alles. Doch die Expertin gibt Entwarnung: „Gerade für kleinere Kinder ist das ein ziemlich normales Verhalten.“ Denn um den zweiten Geburtstag entdeckt das Kind etwas sehr Mächtiges: den eigenen Willen. Und den gilt es ab jetzt, mit allen Mitteln zu verteidigen – auch am Essenstisch.

Kulinarisch clever: die Angst vor Neuem

Zur Entdeckung der eigenen Autonomie gesellt sich zum Leidwesen der Eltern noch eine weitere Kraft: Neophobie, die Angst vor Neuem. Hier hat die Evolution in die Trickkiste gegriffen und uns mit dieser Überlebenstaktik ausgestattet. Denn Skepsis gegenüber unbekannten Lebensmitteln konnte unseren Vorfahren aus der Steinzeit das Leben retten. Wenn etwas beispielsweise bitter schmeckte, konnte das ein Indiz für giftige und gefährliche Lebensmittel sein. Auch eine Erklärung dafür, warum Kinder Bitteres ablehnen und Süßes lieben: Es gibt nichts Süßes auf der Welt, das gleichzeitig giftig ist. Süß ist also sicher, sagt er kindliche Gaumen. Und das ist ziemlich schlau. Kindliche Neophobie zeigt sich vor allem im Alter zwischen zwei und sechs Jahren.

Studien zeigen: Lebensmittel Kindern zehn Mal anbieten

Zur Freude der Eltern wird die Skepsis gegenüber Neuem im Laufe der Zeit durch eine weitere Superkraft ausge­hebelt: Die Wissenschaft nennt sie den Mere-Exposure-Effekt. „Werden Kindern unbekannte Lebensmittel immer wieder angeboten, gewöhnen sie sich mehr und mehr an neue Geschmäcker und bilden allmählich eigene Vorlieben aus“, erklärt Brinja Hoffmann. Für Eltern heißt es also: dranbleiben, ruhig bleiben, und immer mal wieder zu Neuem inspirieren. Studien haben ergeben, dass neue Lebens­mittel etwa zehn Mal angeboten werden müssen, bevor sie von Kindern akzeptiert werden. Das kindliche Geschmacksspektrum weitet sich aus, das eine früher, das andere später.

Mein Kind will nicht essen – wann zum Arzt?

Dass besonders kleine Kinder oft eigen in ihrem Essverhalten sind, nur wenige Lebens­mittel mögen und in den Augen der Eltern auch wenig essen, ist also ein ganz nor­males Phänomen: In der Regel geht das nach der Vorschulzeit vorbei und ist mit zunehmendem Alter ganz gegessen. Solange sich das Kind gut entwickelt, aktiv ist und keine so genannte Gedeihstörung, also eine verzögerte körperliche Entwicklung vorliegt, besteht kein Grund zur Sorge. „Und Studien haben gezeigt, dass ein Nährstoff- und Vitaminmangel bei gesunden Kindern selten ist – auch, wenn sie nichts Neues ausprobieren, kein Gemüse und immer nur dasselbe essen“, erklärt Brinja Hoffmann. Sollten Eltern jedoch den Eindruck haben, dass ihr Kind antrieblos, häufig krank ist oder andere Auffälligkeiten rund um die Ernährung zeigt, ist ein Besuch bei der Kinderärztin oder dem Kinderarzt ratsam.  

Ist mein Kind ein „Picky Eater“?

Sind Eltern auf der Suche nach Ratschlägen im Internet unterwegs, treffen sie schnell auf einen Begriff, der zum Thema kindliches Essverhalten in aller Munde ist: das Phänomen des „Picky Eater“. Übersetzt heißt dies „wählerischer Esser“ und trifft somit auf den ersten Blick auf viele Kinder zu. „Picky Eater“ sind jedoch Kinder, die ein extrem eingeschränktes Ess- und Trinkverhalten zeigen: Sie bevorzugen beispielsweise nur eine Konsistenz, eine Geschmacksrichtung oder nur Nahrung mit einem bestimmten Geruch. Fachleute sprechen hier von einer „sensorischen Nahrungsverweigerung“.

Diese Kinder haben häufig Probleme mit der Verarbeitung sensorischer Reize, sie reagieren beispielsweise verstärkt auf Reize. Andere Ursachen können auch schlechte Erfahrungen mit Essen sein (negative Essmodelle, ein Überangebot an Nahrung oder Ernährung durch eine Sonde), die sich nachhaltig niederschlagen. In jedem Fall muss das Phänomen des „Picky Eaters“ von der klassischen (klein-)kindliche Entwicklungs­phase abgegrenzt werden und bedarf gegebenenfalls einer gezielten Therapie.

„Pickey Eater“: Symptome der sensorischen Nahrungsverweigerung

Kinder, die vom „Picky Eating“ betroffen sind, zeigen bestimmte Symptome. Beispielsweise diese hier:

  • Sie haben ein extrem wählerisches Essverhalten (nur ausgewählte Nahrung),
  • brauchen für eine Mahlzeit länger als 45 Minuten,
  • verweigern Nahrung manchmal auch ganz,
  • erbrechen häufig die Nahrung,
  • können jedoch die bevorzugte Nahrung problemlos zu sich nehmen,
  • essen alle zwei Stunden oder häufiger.

10 Tipps: So kommt mehr Spaß auf den Teller!

Also nochmals zur Entspannung in die Elternrunde: Rummäkeln am Tagesgericht, „Ihhh“ zur Broccoli-Pasta und „Bäh“ zum Möhrcheneintopf – alles völlig (klein-)kindgemäß. Und obwohl die Kleinen sich schon extrem gleichberechtigt fühlen: Eltern haben ja einen gewissen Reifevorsprung und können diesen für ihre Zwecke nutzen. Heißt: Tricksen Sie ihre kleinen Nörgler aus.

 

Kinder haben Mitspracherecht beim Einkauf

Es ist hilfreich, mit dem Autonomieanspruch des Kindes zu arbeiten. Heißt, es möglichst stark in sämtliche Ernährungsbereiche einzubinden. Das beginnt schon beim Einkauf. Ermuntern Sie Ihr Kind, sich Obst und Gemüse nach Möglichkeit selbst auszusuchen. Gern auch nach dem Regenbogen-Prinzip: möglichst bunt!

Gemeinsam kochen Kochen Sie zusammen.

Denn das gemeinsame Zubereiten der Speisen stärkt zum einen das Selbstbewusstsein des Kindes und schmeichelt seinem Autonomiebestreben. Zum anderen bauen Kinder ein Verständnis und damit auch ein Verhältnis zu den Lebensmitteln auf.

Das Kind muss Appetit haben

Wichtige Startbedingung: Um offen für Essen zu sein, sollte Ihr Kind mindestens Appetit, bestenfalls Hunger haben. Die Nachmittagssnacks sollten also entsprechend zeitig geknabbert werden.

Lebensmittel in allen Farben des Regenbogens

Das Auge isst mit – das gilt für die Kleinen wahrscheinlich noch mehr als für die Großen. Machen Sie es Ihrem Kind möglichst bunt, zum Beispiel mit einem Regenbogenteller: einfach bunte Lebensmittel nach Farben sortiert auf den Teller legen. Das Kind kann sie sich einzeln nehmen. Apropos einzeln: Manche Kinder mögen es nicht, wenn sich Lebensmittel vermischen. Da kann das Separieren – geht gut mit Kindertellern mit unterschiedlichen Abteilungen – dem Appetit auf die Sprünge helfen. 

Das Auge isst mit

Ein „Iiih“ muss kein Iiih bleiben: Manchmal hilft es schon, die Kombination der Lebensmittel zu verändern oder auch nur die Präsentation auf dem Teller. Auf einen Spieß gesteckt, wirken Obst und Gemüse oft schon ganz anders. Oder man bastelt lachende Gesichter oder andere lustige Motive. Hier finden Sie Tipps, wie Sie ihrem Kind beim Essen ein Lächeln ins Gesichtchen zaubern.

Die Mag-ich-nicht-Schüssel

Findet das Kind etwas eklig, stört es auf dem Teller. Die Mag-ich-nicht-Schüssel ist da eine hilfreiche Gefährtin: einfach eine kleine Schüssel mit auf den Tisch stellen, in die das Kind das ungeliebte Lebensmittel aussortieren kann.

Bekannte und neue Lebensmittel mischen

Beim Ausprobieren von neuen Lebensmitteln hilft es Ihrem Kind, wenn es dazu auch Dinge auf dem Teller hat, die es kennt und mag. Denn wenn auch bereits akzeptiertes Essen da ist, fühlt sich Ihr Kind im kulinarischen Neuland sicherer. 

Bloß keinen Druck!

Unter Druck kann kein Genuss entstehen. Drängen Sie Ihr Kind deshalb nicht, zu probieren – geschweige denn, den Teller leer zu essen. Das erzeugt Stress, der sich festsetzen und die kulinarische Entdeckerlust nachhaltig schädigen kann. Vielleicht möchte es nur mal an der Paprika riechen? Auch das kann der Anfang einer großen Liebe sein.

Am Ball bleiben und Konsistenzen ändern

Kinder brauchen in der Regel eine Aufwärmphase mit neuen Geschmäckern – etwa zehn Mal anbieten, sagen die Fachleute. Seinen Sie deshalb geduldig und lassen Sie sich nicht entmutigen. Haben Sie schon versucht, Ihrem Kind das ungeliebte Lebensmittel zu braten anstatt zu kochen? Oder vielleicht knabbert es es auch viel lieber roh? Konsistenzen sind bei Kindern ein großes Thema und können auch nach Fehlversuchen ein Türöffner sein.

Und das Wichtigste zum Schluss: locker bleiben

So einfach und so schwer gleichzeitig: Versuchen Sie, das Thema Essen möglichst locker anzugehen, um nicht in die Stressspirale zu geraten. Denn Ihr Stress überträgt sich auf das Kind und am Ende regiert am Essenstisch der Frust. Machen Sie sich bewusst, dass Ernährung eine Entwicklung ist, die Zeit braucht. Geben Sie sie Ihrem Kind und auch sich selbst. Wie in allem, sind Sie Ihrem Kind ohnehin das wichtigste Vorbild. Seien Sie entspannt, genießen Sie mit Lust und Spaß und machen Sie das Essen damit für Ihr Kind zu einem positiven Erlebnis.

Essstörungen prägen sich ganz unterschiedlich aus.

Doch so verschieden sie auch sind, haben sie alle eines gemein: Sie bestimmen das Leben der Betroffenen. Die Audi BKK bietet Leistungen, mit denen die jeweilige Essstörung hin zielgerichtet behandelt werden kann. Genaue Informationen finden Sie hier

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