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Selbstoptimierung: Wann sie gefährlich werden kann

Wir wollen das eigene Ich immer weiter verbessern: den Geist, die Seele und den Körper. Doch es gibt Grenzen bei der Selbstoptimierung. Wann Sie gefährlich wird, erklärt uns Prof. Dr. Dr. Martin Hörning.

Zu einer besseren Version des eigenen Ichs zu werden, sich selbst immer stärker zu optimieren – dieses Ziel beschäftigt viele Menschen. Dazu gehört auch, den eigenen Körper fit und attraktiv zu halten, ihn nach eigenen Wünschen zu formen. 

Martin Hörning ist Professor und Doktor der Kommunikationswissenschaften sowie Medizin. Und er ist selbst Kraftsportler. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich beruflich wie privat mit der Frage der Optimierung des Körpers und weiß, wohin Körperkult führen kann.

"Wir sitzen heute viel zu viel. Daher ist es so wichtig und sinnvoll, bewusst auf mehr Bewegung im Alltag und gesunde Ernährung zu achten. Aber wenn dieser Gesundheitsaspekt in den Hintergrund tritt und die Sorge um das Aussehen in den Vordergrund, wird es problematisch."

Professor Dr. Dr. Martin Hörning

Warum ist uns Selbstoptimierung so wichtig? 

„Selbstoptimierung wird aus meiner Sicht angetrieben von dem Wunsch, etwas aus uns und unserem Leben zu machen“, erläutert Martin Hörning. „Ein gelungenes Leben wird zunehmend definiert über das Erreichen selbst gesetzter Ziele: im Beruf, in Beziehungen, in der Entfaltung von Fähigkeiten. Selbstoptimierung wird auch angetrieben von unserer gesellschaftlichen Anforderung. Wir haben ein Wirtschaftssystem, in dem Steigerung Wachstum bedeutet, Innovation, Beschleunigung. Wer seinen Platz im System behalten will, darf nicht stehen bleiben, der muss an sich arbeiten. Und Selbstoptimierung ist auch attraktiv. Uns stehen ständig neue Gadgets und Produkte dafür zur Verfügung: Handys, Apps, die sozialen Medien. Und die schaffen immer mehr Möglichkeiten, neue Lebensbereiche zu optimieren. Da gibt uns die Selbstoptimierung ein Gefühl der Freiheit.“

Selbstoptimierung als Lebensaufgabe

Der attraktive Körper ist dabei ein Baustein im Konzept der Selbstoptimierung. Ihn fit zu halten ist zweifellos eine gute Basis dafür, gesund durchs Leben zu gehen. Aber es gibt einen kritischen Punkt, ab dem die Optimierung des Körpers ins Gegenteil verkehrt wird. „Dieser Punkt ist nicht so leicht zu definieren, aber es gibt ihn“, bestätigt Martin Hörning. „Wir sitzen heute viel zu viel. Daher ist es so wichtig und sinnvoll, bewusst auf mehr Bewegung im Alltag und gesunde Ernährung zu achten. Aber wenn dieser Gesundheitsaspekt in den Hintergrund tritt und die Sorge um das Aussehen in den Vordergrund, wird es problematisch. Im Mittelpunkt steht dann das Ziel, fitter, schlanker, muskulöser zu sein. Sie vernachlässigen Freunde, beschränken Ihre sozialen Kontakte auf Leute, die so ähnlich denken wie Sie und auch einen Körperkult pflegen. Sie nehmen den Beruf weniger wichtig, bekommen in der Partnerschaft Probleme. Jetzt geraten Sie in einen Bereich, der Ihnen nicht mehr guttut. Kurz gesagt: Es wird kritisch, wenn Gesundheit und Fitness nicht mehr eine Ressource für ein gelungenes Leben darstellen, sondern wenn sie für das gelungene Leben selbst gehalten werden.“

Schönheitsideale in sozialen Medien

Einen besonderen Einfluss üben dabei die sozialen Medien auf uns aus. Auf Instagram findet sich eine Flut an Influencern, die ihre perfekt durchtrainierten Körper präsentieren. Sie sind Vorbilder. Frauen oder Mädchen möchten auch einen so flachen Bauch haben oder Männer und Jungen ein Sixpack. „Generell hat jeder die Möglichkeit – je nach Veranlagung –, mit Training einen sportlichen Körper zu entwickeln“, so Martin Hörning. „Sie müssen aber enorme Energie aufbringen und Geduld haben. Die haben aber viele – auch junge Menschen – nicht. Wir leben in einer Gesellschaft, in der es schon fast normal ist zu schummeln. Rollenvorbilder wie Schauspieler oder Influencer lassen sich in kleinen Schönheit-OPs die Lippen aufspritzen oder Fett absaugen. Einige Fitness-Influencer auf YouTube oder Instagram betonen, dass sie nur sehr gesund leben und deshalb so aussehen. Viele der Fotos dort zeigen aber Ausnahmeformen des Körpers und sind bearbeitet.“

Professor Dr. Dr. Martin Hörning hat mit Redakteurin Jule über die Gefahren der Selbstoptimierung gesprochen

Leistungsdruck bei der Selbstoptimierung

Die Bilder in sozialen Medien spiegeln nicht die Wirklichkeit wider. Auf diese Weise entwickeln sich sonderbare Ansprüche an Körperformen. „Dem Betrachter wird suggeriert, mit Anstrengung kannst du das auch schaffen. Wer eine solche Figur mit stark ausgeprägten, gut sichtbaren Muskeln erstrebt, braucht aber einen Körperfettgehalt von unter zehn Prozent. Heißt: Er oder sie muss das Leben drastisch spaßfrei gestalten, also knallhart trainieren. Und extrem Diät halten. Da können Sie nicht mehr spontan mit Freunden essen gehen. Für 99 Prozent aller Menschen ist das nicht leistbar und nicht erstrebenswert. Denn ein solches Leben hat extrem negative Einflüsse auf das soziale Umfeld, den Beruf und die Lebensfreude. Und oft sind diese Körperformen nur mithilfe von Medikamenten zu erschaffen“, betont Martin Hörning. 

Medikamente, die Muskeln aufbauen

Bestimmte Stoffe oder Medikamente sorgen dafür, dass sich der Körper schnell verändern lässt. In die Richtung, die uns gefällt. Und wenn die Geduld fehlt, diese Transformation über Jahre natürlich zu erreichen, wird der Prozess auf andere Art vorangetrieben. Als Mediziner kennt Martin Hörning die Folgen dieses Handelns gut. Zu welchen Substanzen wird gegriffen? „Es gibt immer wieder Mittelchen, die gehypt werden. Aber eigentlich reduziert es sich stets auf die klassischen Substanzen. Für Männer sind das die anabolen Steroide, klassisch das Geschlechtshormon Testosteron. Sie führen zum starken Muskelwachstum. Frauen nehmen eher Fettburner oder Substanzen wie Clenbuterol, ein verschreibungspflichtiges Medikament, das bei Asthmaanfällen hilft. Es bewirkt auch, dass sich rascher Muskeln aufbauen. Menschen in mittleren Jahren greifen gern zu Wachstumshormonen, die den Muskelanteil erhöhen und den Fettanteil verringern. Die negativen gesundheitlichen Folgen werden ausgeblendet, denn sie sind nicht unmittelbar spürbar.“

Große Schäden für die Gesundheit

Dabei schaden die Substanzen radikal. Die Folgen sind miserable Blutfettwerte, Herzschäden, Leberprobleme, Depressionen, Impotenz bei Männern, Unfruchtbarkeit bei Frauen, Krebs. Die Liste ist lang. Auch sehr junge Menschen greifen schon zu bestimmten Medikamenten, aus ähnlichen Motiven wie Erwachsene. Jungs wünschen sich Muskeln, Mädchen wollen schlank sein. Nehmen Jungen Anabolika, kann ihr Körperwachstum stoppen, können sich die Hoden zurückbilden und Brüste ausprägen. Schlucken Mädchen appetitzügelnde Hormone, führt dies zu Reizbarkeit, Aggressionen bis hin zu Wahnvorstellungen.

Kinder und Jugendliche schützen

Was können Eltern tun, um ihre Kinder davor zu bewahren, ihre Selbstoptimierung so weit zu treiben? „Fitnessstudios sind eine eigene Welt“, so Martin Hörning. „Wer dort trainiert und empfänglich ist für die medikamentöse Leistungssteigerung, kann schnell an die falschen Leute geraten. Am besten schauen sich Eltern das Studio vorab an. In Studios mit wenig Trainingsbetreuung steigt das Risiko. Sehen Sie viele stark muskelbepackte Sportler, deutet das auf eine gewisse Konsumkultur hin. Auch eine riesige Freihantelecke mit großen Hantelgewichten von 30 bis 50 Kilo deutet an, dass dieses Studio nicht das beste Umfeld für den Nachwuchs ist. Die eigentliche Prävention beginnt aber schon viel früher im Elternhaus. Kinder sollten stark gemacht werden, Selbstvertrauen entwickeln, und vor allem sollten sie ein gesundes Vertrauen in die eigene Handlungsfähigkeit haben. Also erlernen, dass sie ihr Leben selbst positiv gestalten können. Das bietet den besten Schutz vor Abhängigkeit und davor, die eigene Persönlichkeit über Körperideale zu definieren.“

Bildnachweis

Artikeleinstieg: imonSkafar (istockphoto.com)
Im Artikel: Michael Adamski

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