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Komm zu mir – Corona und der Verlust der Nähe

Wie normal kam uns unser Miteinander stets vor. Und nun, zwei Jahre später, hat Corona uns so viel an persönlicher Nähe genommen. Was macht dieser Verlust mit uns?

Im Winter vor zwei Jahren konnte noch niemand ahnen, wie sich unser Sozialgefüge schon bald maßgeblich verändern sollte. Die einen erlebten persönliche Tragödien: Todesfälle im Freundeskreis und in der Familie, vom Partner oder von der Partnerin auf nicht absehbare Zeit getrennt sein, plötzliche Arbeitslosigkeit. Viele standen vor neuen Herausforderungen – durch die Verlagerung des gesamten Soziallebens in die eigenen vier Wände, durch Homeschooling oder den Bewegungsdrang der Kinder, den es zu stillen galt. Für diejenigen, die mit vielen Menschen auf kleinem Raum zusammenwohnten, ließ sich eine Quarantäne nur schwer umsetzen. 

Die häusliche Gewalt nahm zu, psychische Krankheiten bei Kindern stiegen an und wer mit Depressionen zu kämpfen hatte, litt noch mehr darunter, weil der geregelte Alltag wegfiel – während andere den ersten Lockdown als willkommene Entschleunigung begrüßten und viel Zeit mit ihrer Familie verbrachten, persönliche Projekte verfolgten oder neue Hobbys entwickelten. So unterschiedlich wir diese Zeit auch erlebten: Wer uns in unserem Leben umgibt, entschied auf einmal über alles. Besonders spürbar wurde plötzlich eine große Einsamkeit, die durch Aufenthalts- und Veranstaltungs­beschränkungen, Homeoffice und Quarantäne ans Licht kam. 

Junge Menschen einsam wie nie

Eine Studie des wissenschaftlichen Dienstes der EU-Kommission stellt fest, dass sich in den ersten Monaten der Pandemie doppelt so viele EU-Bürger als zuvor einsam fühlten. In den Monaten April bis Juli 2020 stiegen die Werte in Deutschland von 8,8 auf 24,5 Prozent. Bei uns litten vor allem Singles unter den Ausgangs­beschränkungen, und während vor der Pandemie meistens ältere Menschen einsam waren, vervierfachte sich der Anteil der jungen, die sich lange Zeit einsam fühlten. Bei den 18- bis 25-Jährigen waren es 36 Prozent. 

Doch auch unabhängig von Corona leiden immer mehr junge Menschen unter Einsamkeit. Allen voran: junge Männer. Das legen die Antworten von mehr als 46.000 Teilnehmern des BB Loneliness Experiment nahe. Jüngere Menschen sagten häufiger als Menschen im mittleren Alter, dass sie einsam seien. Die Teilnehmenden im mittleren Alter berichteten häufiger von Einsamkeit als die älteren Menschen. Und Männer fühlten sich häufiger einsam als Frauen, wobei Menschen in individualistischen Ländern wie Großbritannien über mehr Einsamkeit klagten als jene in kollektivistischen Staaten wie China.

Gibt es eine Einsamkeitsepidemie? 

Bedeuten diese Beobachtungen, dass wir insgesamt immer einsamer werden? Zum Glück nicht. Studien, die zeigen, dass gerade junge Menschen sich einsam fühlen, sind allein kein Beweis dafür, dass eine regelrechte Einsamkeitsepidemie um sich greift. Vielmehr deuten weitere Untersuchungen darauf hin, dass wir uns über unsere Lebensspanne hinweg unterschiedlich stark einsam fühlen. 

Überraschend ist: Im Lauf des Lebens könnte es zwei Höhepunkte im Einsamkeitserleben geben: einer im jungen Erwachsenenalter und der andere, wenn wir langsam alt werden. Menschen im Alter von 25 bis 35 versuchen, beruflich Fuß zu fassen und eine Familie zu gründen. Es bleibt wenig Zeit für soziale Kontakte, man geht auf Distanz. Im höheren Erwachsenenalter wiederum schwächelt die Gesundheit und die Mobilität nimmt ab – es wird ruhiger um uns und wir nehmen weniger am sozialen Leben teil.

Tierische Helfer gegen das Alleinsein

Wenn uns die Einsamkeit trifft und es still wird um uns, leiden wir. Wer könnte unser Leben im besten Sinne wieder unruhig machen? Viele haben in der Pandemie auf Haustiere gesetzt – die Anzahl der Haushalte mit Haustieren stieg rasant an. Im Vergleich zum Jahr 2016 wuchs die Haustierzahl unter deutschen Dächern um rund 3,3 Millionen Tiere. Es ist viel dran an der Vermutung, dass uns Tiere glücklich machen: Sie unterstützen uns emotional und wir empfinden ihre Gegenwart messbar als wohltuend. Streicheln wir eine Katze, sinkt unser Blutdruck und unser Körper setzt das Glückshormon Oxytocin frei. Außerdem sorgen die kuschligen Kumpane für mehr Sozialkontakte. 

Dass Hundebesitzer beim Gassigehen schneller mit Gleichgesinnten ins Gespräch kommen, ist bekannt – doch sogar ein Wellensittich ist in der Lage, ältere Menschen aus ihrer Isolation zu holen. Experimente zeigen, dass durch die Haltung des Kleintiers nicht nur häufiger Besuch von Verwandten kam, es ergaben sich auch mehr Gespräche mit Nachbarn. Ob Tier oder Mensch, wir brauchen die Nähe anderer, um glücklich zu sein. Zu viel Distanz macht uns krank, denn wir sind und bleiben soziale Wesen.

Tipp: 

Der Kleinste hat keine Lust auf Grünzeug und schubst den Salat vom Teller. Die pubertierende Tochter kommentiert lautstark und die Eltern sind müde vom Tag. Gemeinsame Mahlzeiten können anstrengend sein. Trotzdem: Zusammen essen ist gesund. Wissenschaftler fanden heraus, dass wir die Nahrung mehr genießen, Übergewicht und Essstörungen vorbeugen und soziales Verhalten üben. Wir werden dadurch also schlicht verträglicher und gesünder. 

Vielfältiger und gesünder

Auch unter schwierigen Umständen zeigen sich diese positiven Wirkungen gemeinsamer Mahlzeiten. Das Essen ist vielfältiger, Jugendliche und junge Erwachsene trinken weniger Softdrinks und essen seltener Fastfood. Sich am Tisch zusammenzufinden, hat etwas Beruhigendes. Man redet und löst Probleme – und prägt nebenbei das Essverhalten der Kinder. Also, dran bleiben an diesem wertvollen Ritual und am gemeinsamen Tisch. Mahlzeit.

Bildnachweis

Artikeleinstieg: Brooke Cagle (pexels)

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