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Steuert der Darm, wie fit wir uns fühlen?

Auch, wenn wir ihn nie sehen und am besten möglichst wenig spüren: Der Darm spielt eine wesentliche Rolle für unsere Gesundheit. Was dieser wertvolle Gefährte mir unserer Energie zu tun hat, erklärt Dr. Marc Werner.

Dr. Marc Werner ist Direktor der Klinik für Naturheilkunde und Integrative Medizin der Evangelischen Kliniken Essen-Mitte (KEM). Integrative Medizin verbindet den aktuellen Stand der Medizin mit wissenschaftlich gesicherten naturheilkundlichen Verfahren. Ihn interessiert der ganzheitliche Blick auf gesundheitliche Phänomene und ganz besonders der Darm.

Herr Dr. Werner, mal haben wir mehr Energie, mal weniger – was hat unser Darm damit zu tun?

Alles, was wir zum Leben brauchen, geht über den Darm. Er ist unsere zentrale Energieaufnahmestelle. Im Laufe unseres Lebens gehen ungefähr 50.000 Liter Flüssigkeit und 30.000 kg Nahrung durch den Darm. Unsere Haut hat eine Gesamtfläche von etwa 1,8 Quadratmetern – unser Darm etwa 600 Quadratmeter. Er ist unsere größte Kontaktfläche zur Außenwelt. Unsere Nährstoffe werden über den Darm aufgenommen, abgesehen von Sauerstoff wirklich alle. Diese brauchen wir, um energetisch zu funktionieren. Unsere Ernährung spielt für unser Wohlbefinden daher eine entscheidende Rolle. Also: Gute, qualitative Nahrung führt über den Darm dazu, dass wir uns fit fühlen.

Welche Rolle übernimmt der Darm noch – über die Nährstoffversorgung hinaus? 

Weniger bewusst ist vielen zum Beispiel, dass auch unsere Immunabwehr über den Darm läuft. Nicht die ganze, aber 70 Prozent aller Abwehrzellen sitzen im Darm. Wie gut mein Immunsystem funktioniert, wird also stark über den Darm gesteuert. Außerdem ist unser Darm überaus hormonaktiv.

Wie kann man sich das vorstellen?

Am deutlichsten macht das diese berühmte Schokoriegel-Werbung, die sagt ‚Du bist nicht du, wenn du hungrig bist‘. Da ist viel Wahres dran! Unser Stoffwechsel wird über den Darm gesteuert und es werden Hormone ausgeschüttet, die unser Wohlbefinden beeinflussen. Unser Bauch kommuniziert mit unserem Kopf – über die Darm-Hirn-Achse erfolgt ein ständiger Informationstransfer. In beide Richtungen: über Nervenbahnen, über unsere Hormone oder auch über Stoffwechselprodukte der Darmbakterien.

„Mit Ernährung können wir unser körperliches Wohlbefinden bis zu 90 Prozent steuern.”

Dr. Marc Werner, Direktor der Klinik für Naturheilkunde und Integrative Medizin der Evangelischen Kliniken Essen-Mitte (KEM)

Kann unsere Darmgesundheit auch dafür sorgen, dass wir uns kraftlos und abgeschlagen fühlen? 

Auf jeden Fall! Chronische, niedrigschwellige Entzündungen können eine Rolle spielen, dann ein Nährstoffmangel oder Fehlangebot durch falsche Ernährung und die besagte Verbindung zwischen Hirn und Darm, die eine hormonelle Wirkung auf den Körper hat. Und alle diese verschiedenen Effekte können dazu führen, dass Sie sich müde fühlen. Mit Ernährung können wir tatsächlich aber unser körperliches Wohlbefinden bis zu 90 Prozent steuern.

Tut Bewegung unserem Darm gut?

Ja, denn sie setzt im Körper ganz viele biochemische Veränderungen in Gang. Bewegung hilft insbesondere der Darmfunktion und kann einen regelmäßigen, gesunden Stuhlgang begünstigen – vor allem, wenn wir reichlich trinken. Wenn wir den ganzen Tag auf der Couch sitzen, ist das auch nicht günstig, denn der Darm liegt ja auch auf den Eingeweiden. Wenn er öfter mal bewegt wird, sehen wir eine positive Veränderung in Bezug auf unsere Verdauung.

Der Darm – und vor allem die Darmflora – waren lange ein Nischenthema. Heute ist es ein großes Thema. Woran liegt das?

Stimmt, das Thema boomt. Die Darmflora wird in Zusammenhang mit Krebstherapien erforscht, bei rheumatologischen Erkrankungen, chronischen entzündlichen Darmerkrankungen, aber auch in Bezug auf Leistungsverhalten im Spitzensport. Aktuell widmen sich in der Forschung auch viele der Frage, wie man die Darmflora verändern kann, um den Hirnstoffwechsel zu beeinflussen.

Wie könnte das funktionieren?

Das weiß man noch nicht. Dass Gehirn und Darmflora verknüpft sind, scheint gesichert. Experimente mit Mäusen haben gezeigt, dass sie depressiv werden, wenn man ihre Darmflora künstlich zerstört. Und dass die Depression abnimmt, wenn die Darmflora wieder mit bestimmten Probiotika aufgeforstet wird. Also anscheinend kann man Depressionen verändern, wenn man die Darmflora verändert. Es gibt Forschung in vielen Bereichen, wie Alzheimer, Parkinson oder Depressionen. Jedoch muss man sich fragen, welche Zieldarmflora die richtige wäre – aber es gibt weder eine Vorstellung darüber, wie die gesunde Zieldarmflora aussehen müsste, noch einen Konsens darüber, ob diese bei allen gleich wäre oder wie man therapeutisch da hinkommt. Der kleinste gemeinsame Nenner ist derzeit: Je unterschiedlicher, desto besser. Je mehr verschiedene Bakterien unseren Darm besiedeln, desto gesünder.

Warum ist diese Bakterienvielfalt gesund für unseren Darm?

Sie haben eine Bakterienschicht im Dickdarm und diese Bakterien versorgen auch den Darm. Und sie übernehmen unterschiedliche Aufgaben. Das eine Bakterium kann besser Proteine verstoffwechseln, das andere besser Ballaststoffe oder Kohlenhydrate. Wir brauchen also eine Bakterienvielfalt. Diese ist entsprechend gering, wenn wir uns einseitig ernähren. Oder anders gesagt: Wenn Sie immer die gleichen Nährstoffe oben reinschütten, dann sind natürlich genau die Bakterien, die dieses Substrat am besten verstoffwechseln können, am Ende die häufigsten. Angebot und Nachfrage. Ganz einfach eigentlich.

Wie sieht denn eine darmflorafreundliche Ernährung aus?

Wir dürfen nicht vergessen, dass die Kernaufgabe des Darms ist, den Körper zu versorgen. Wir wollen nicht in erster Linie eine gesunde Darmflora, sondern einen gesunden Menschen! Natürlich ist es gut, eine gesunde Darmflora zu haben – weil das gesund für den Menschen ist. Beispielsweise eine Ernährung mit komplexen Kohlenhydraten und hohem Ballaststoffanteil. Das ist gut für den Darm und für den Stoffwechsel. Haferflocken und Vollkornprodukte zum Beispiel. Ballaststoffe ernähren den Darm von innen. Wenn Sie darüber hinausgehen wollen und Bakterienkulturen zufügen, fangen Sie erst mal mit den einfachen Dingen an. Joghurt, Kefir, Brottrunk mit Milchsäure und Laktobazillen. Aber viele Menschen denken: Okay, ich nehme jetzt jeden Tag Brottrunk und einen Löffel Flohsamenschalen zu mir und ansonsten mache ich so weiter wie bisher. Das funktioniert nicht. Da können Sie lieber den Brottrunk weglassen und sich gesund ernähren.

Welche Ernährung schadet denn unserem Darm? 

Es gibt diesen schönen Spruch „Essen Sie nichts, was Ihre Oma nicht als Lebensmittel erkannt hätte“. Also stark verarbeitete Sachen, deren ursprüngliche Lebensmittelanteile man gar nicht mehr wiedererkennt. Beispielsweise Fertigprodukte. Essen Sie wenig Fleisch. Vermeiden Sie Zucker. Zucker ist schlecht. Und lassen Sie die Finger von diesen kleinen Shots, die damit werben, Abwehrkräfte zu aktivieren. Die Bakterien, die drin sind, die sind gut und wirken auch – aber es sind Unmengen Zucker drin!

Raten Sie generell davon ab, Fleisch zu essen?

Nein, ich esse auch selbst ab und an Fleisch. Es zeigt sich nur, dass wenig Fleisch zu essen gesund ist. Wenn Sie Fleisch essen, dann am besten ein- oder zweimal die Woche und dann etwas qualitativ Hochwertiges vom Bio-Metzger. Im Gegensatz zu billigem Fleisch enthält Biofleisch beispielsweise deutlich mehr ungesättigte Fettsäuren, was unter anderem den Blutfluss verbessert.

In den letzten Jahren sind in Deutschland viele verschiedene Ernährungsformen populär geworden. Sind einige besser für den Darm als andere?

Jeder muss eine Ernährungsform finden, die zu einem persönlich passt. Wenn man beispielsweise beginnt, sich sehr griechisch zu ernähren mit viel Olivenöl, dann kann es sein, dass unser Darm für solche Mengen an Olivenöl gar nicht ausgestattet ist. Unsere Körper sind daher tendenziell auf das lokale Angebot ausgerichtet. Die Faustregel ist also: saisonal, regional, vollwertig. Andererseits gibt es hier auch viele Menschen, die sich beispielsweise asiatisch oder ayurvedisch ernähren und damit wunderbar fahren. Wenn Sie persönlich erleben, dass Sie sich mit dreimal täglich Reis energetisch besser fühlen, dann haben Sie damit recht. Es muss einfach zum eigenen Körpergefühl passen.

Für ein so wichtiges Organ muss man gut sorgen.

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Artikeleinstieg: Westend61 (gettyimages.com)
Portrait: Stefan Tempes, move:elevator

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