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Krisen und Veränderungen: Tipps von der Resilienztrainerin

Eine Krise jagt die nächste – das ist für viele Menschen zurzeit das bestimmende Lebensgefühl. Die Folge: extreme Unsicherheit. Wie gehe ich mit Veränderungen um, die ich mir nicht selbst ausgesucht habe? Ein Gespräch mit der Resilienztrainerin Silke Kleinschmidt.

Frau Kleinschmidt – in den letzten Jahren schien es ja, als sei die Welt ins Wanken geraten. Nehmen Sie das auch so wahr?

Tatsächlich, ja. Natürlich gab es in meiner Kindheit auch Unsicherheiten, wie zum Beispiel die Katastrophe in Tschernobyl oder den Golfkrieg. Aber ich glaube, dass vor allem für die Generation, deren Heranwachsen von den Ereignissen der letzten Jahre
begleitet wurde, eine grundsätzliche Sicherheit alles andere als selbstverständlich ist.

Können wir es uns in diesen Zeiten noch erlauben, optimistisch zu sein?

Es gibt in Deutschland den schönen Satz „Du hast doch wohl den Ernst der Lage nicht verstanden“. Das heißt: Wer jetzt Spaß hat, hat nicht begriffen, was passiert.

Wir neigen gerade in unsicheren Phasen dazu, sehr in Schwarz-Weiß-Kategorien zu denken: „Es ist gerade eine Zeit, die nicht schön ist“ – und dann ist aber auch gar nichts schön. Besser wäre es zu sagen: „In dieser Zeit ist es oft nicht schön – umso wichtiger ist es, schöne Momente zu erleben.“

Silke Kleinschmidt, Resilienztrainerin

Ich erlebe bei vielen Menschen, die in einer Krise stecken, dass sie sich beinahe schämen, wenn sie einen Moment der Freude haben. Wenn Angehörige sterben zum Beispiel. Stattdessen sollten wir sagen: Lasst uns den Moment, in dem es einfach gerade schön ist, auch genießen und Scherze machen, wenn uns danach ist. Denn die meiste Zeit ertragen wir zwar Schmerzen und Verlust, aber wir sollten auch nicht für positive Dinge blind werden.

Den Blick auf die negativen Dinge sollten wir aber auch zulassen?

Genau – je nach der Situation, in der wir uns befinden, kann es sehr viel Sinn ergeben, sich vor allem auf Negatives zu konzentrieren. Wenn es existenziell wird, sollte man die unangenehmen Fakten auch mal auf den Tisch legen. Wir brauchen die Möglich­keit, darüber zu sprechen, dass etwas schlecht ist. Und es muss einen Punkt geben, an dem wir aufhören mit katastrophisieren. Es muss beides Platz finden in unserem Leben. Denn es ist immer beides in der Welt: Es sind gute Dinge da und es sind schlimme Dinge da.

Ist es Typsache, ob es uns schwerfällt, in Krisenzeiten auch Positives zu sehen?

Wir haben das alle in uns, wenn auch in unterschiedlich ausgeprägtem Ausmaß. Es gibt den sogenannten Negativity Bias, der sagt: Unangenehmes und Negatives wird erstens schneller wahrgenommen als Positives und zweitens bekommt es auch mehr Platz in der Verarbeitung. Dadurch geraten positive Erlebnisse immer ein bisschen ins Hintertreffen.

Das lässt sich auch evolutionsbiologisch erklären: Wenn unsere Vorfahren in der Wüste gesehen haben, dass der Sand sich bewegt, hat das Hirn daraus gemacht: Da können wilde Tiere auf mich zukommen. Anstatt den wunderschönen Sonnenuntergang zu sehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass mit den Sandkörnern wilde Tiere verbunden sind, ist vielleicht nicht so hoch – aber das Risiko ist am Ende eben auch von der Härte der Konsequenz bestimmt. Und wenn diese bedeutet, ich könnte totgetrampelt werden, dann ist das leider für mich interessanter als mir schöne Gefühle beim Anblick des romantischen Sonnenuntergangs zu verschaffen.

Wie können wir mit der Ungewissheit umgehen, die auf uns zukommt?

Der Kern von Resilienz ist die Frage, wie man Situationen bewältigt, die man so noch nicht kennt. Hier spielt auch Selbstwirksamkeit eine Rolle. Selbstwirksamkeit ist die Überzeugung, dass man Dinge bewältigt bekommt und an einer Situation nicht zerbrechen muss.

Jeder Mensch versucht ja, Situationen mit dem zu bewältigen, was er kennt – aber die große Fähigkeit einer resilienten Persönlichkeit ist Flexibilität.

Wir probieren immer verschiedene Dinge aus. Wenn wir merken, es hilft uns dabei, mit einer Situation zurechtzukommen, versuchen wir das beim nächsten Mal wahrschein­lich auch. Es ist aber gut, mehrere „Werkzeuge“ zu haben! Menschen, deren Werkzeug ist, sofort Lösungen zu entwickeln, erleben gerade eine schwere Zeit – denn es passieren Dinge, die man nicht planen oder wirklich einschätzen kann. Und dann ist die Frage: Welches Werkzeug habe ich denn noch? Ist das, was mir bis heute geholfen hat, auch das, was mir jetzt hilft? Bin ich offen, etwas anderes auszuprobieren? Wie sehr meine ich, dass ich die Person, von der ich glaube, dass ich sie bin, auch morgen noch sein muss?

Es ist wichtig, von alten Mustern loslassen und sich auf neue Dinge einlassen zu können.

Wie kann ich denn herausfinden, was es für Möglichkeiten gibt, um mit einer belastenden Zeit zurechtzukommen?

Wenn Emotionen wie Verzweiflung und Angst überwiegen, ist unsere Sicht auf die Dinge tatsächlich eingefärbt. Was wir dann benötigen, ist ein Perspektivwechsel.

Dabei kann uns ein Mensch aus unserem Umfeld helfen, der so ganz anders mit den Dingen umgeht als wir selbst.

Die Person kann vielleicht selbst nicht sagen, was sie anders macht, aber es ist hilfreich, ins Gespräch zu kommen und die eigene Realität zu hinterfragen. Es darf natürlich niemand sein, der uns fertigmacht. Man sollte eine Ebene zueinander haben, auf der man sagen kann: „Ich fühle mich gerade total schlecht mit der Situation. Ich sehe, dir geht es jetzt anders und mich würde mal interessieren, was du glaubst, woran das liegt. Es muss ja wohl auch zwei, drei Dinge geben, die gerade eigentlich ganz gut sind – aber ich sehe sie nicht.“

So etwas tun wir selten: Gerade, wenn wir unsicher sind, schauen wir uns vor allem nach Menschen um, die uns ähneln, weil wir in unserem Weltbild bestätigt werden wollen.

Können Coping-Strategien – also Bewältigungsstrategien – uns helfen?

Ja – nur eine Coping-Strategie allein sagt noch nicht, dass sie auch gesund für uns ist. Ein emotionales Coping könnte zum Beispiel sein, zum Runterkommen nach einem stressigen Tag ein Glas Wein zu trinken. Das kann zwar am Anfang gelingen, aber irgendwann funktioniert diese Art von Coping nicht mehr. Viele Süchte waren anfangs mal ein Bewältigungsmechanismus.

Es ist also sinnvoll, viele verschiedene – gesunde – Bewältigungsstrategien zur Hand zu haben. Ob andere diese persönliche Strategie albern finden, ist egal.

Denn es ist ein bisschen wie beim Eichhörnchen, das Nüsse für schwierige Zeiten sammelt: Wenn es uns noch relativ gut geht, sollten wir uns auf die Suche nach etwas begeben, was uns guttut. Denn mitten im Orkan ist es schwieriger, etwas Neues zu finden, als sich an etwas Wohltuendes zu erinnern.

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Bildnachweis

Artikeleinstieg: liza summer (pexels.com)
Im Text: deimagine (istockphoto.com)
Portrait: Team Gesundheit GmbH

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