
Schmerzen in der Lendenwirbelsäule: „Warnleuchte des Körpers“
Schmerzen im unteren Rücken, an den Lendenwirbeln, können belastend sein. Denn wenn die Lendenwirbelsäule schmerzt, kommt schnell Angst vor einem Bandscheibenvorfall auf. Wir haben mit Sportmediziner, Sportwissenschaftler und Osteopath Edo Hemar darüber gesprochen.
Herr Hemar, warum schmerzt unser Rücken überhaupt?
Der Rücken ist oft der empfindlichste, beziehungsweise anfälligste, Bereich unseres Körpersystems. Unser moderner Lebensstil – zu viel und zu langes Sitzen, Bewegungsmangel, Stress, ungesunde Ernährung, Übergewicht, aber auch für den Rücken ungünstiges Training – belasten den Körper stark. Weil der Rücken eine zentrale Rolle für unsere Haltung und Beweglichkeit spielt, reagiert er als Folge besonders empfindlich auf Belastungen.
Es ist deshalb wichtig zu verstehen, dass bei chronischen Rückenschmerzen die Ursache selten nur im Rücken selbst liegt. Stattdessen ist oft das gesamte System betroffen. Einschränkungen in anderen Bereichen des Körpers, wie beispielsweise Veränderungen der Muskelspannung, an den Faszien, Sehnen oder Gelenken beeinflussen die Beweglichkeit, Belastbarkeit und Funktion des Rückens.
Wenn beispielsweise die Mobilität in der Hüfte oder im Becken reduziert ist, wird der Rücken stärker beansprucht. Das Zusammenspiel dieser Faktoren führt dazu, dass der Körper einen Schutzmechanismus oder eine Schonhaltung kreiert: Der Rücken signalisiert Schmerz, um auf Überbelastungen aufmerksam zu machen. Dieser Prozess kann sich verselbstständigen, besonders, wenn das eigentliche zugrunde liegende Problem nicht erkannt und behoben wird.
Prävention kann Schmerzen vorbeugen
Bewegen, gesunde Ernährung und Stressabbau: Es gibt vieles, was wir für unseren Körper tun können, um Schmerzen zuvorzukommen. Die Gesundheit unseres Rückens liegt deshalb auch in unserer Hand. In unserer Broschüre lesen Sie mehr zum Thema.
Viele Menschen klagen über Schmerzen im unteren Rücken, insbesondere an den Lendenwirbeln. Warum ist das so und wie funktionieren unsere Lendenwirbel und Bandscheiben überhaupt?
Die Lendenwirbelsäule besteht aus fünf Lendenwirbeln, dazwischenliegenden Bandscheiben sowie umliegendem Gewebe wie Faszien, Muskeln, Nerven, Bändern und Sehnen. Es ist wichtig zu verstehen, dass die Bandscheiben nicht isoliert arbeiten, sondern Teil eines größeren „Zahnradmodells“ sind, bei dem alle Strukturen des Lenden-Becken-Bereichs zusammenwirken.
Rückenschmerzen entstehen häufig, weil diese Zusammenarbeit gestört, beziehungsweise in Dysfunktion und somit in einer Disharmonie ist. Die Bandscheibe kann nur ihre Funktion erfüllen, wenn sie durch das Zusammenspiel der umliegenden Strukturen, beispielsweise von einer beweglichen Hüfte und einem stabilen Becken, unterstützt wird. Wenn diese Bereiche eingeschränkt sind, wird als Folge die Belastung der Bandscheiben erhöht, was langfristig zu Abnutzung und Verschleiß führen kann.
Und das ist dann eine Ursache für Schmerzen?
Ja, das ist möglich. Grundsätzlich ist aber auch zu sagen, dass die Ursachen für Rückenschmerzen vielfältig sind. Sie reichen von Fehlbelastungen und Überbelastungen bis hin zu Neubelastungen und/oder Bewegungsmangel.
Schmerz ist wie eine Warnleuchte des Körpers, die uns zeigt, dass etwas nicht stimmt. Und manchmal bleibt der Schmerz, auch wenn die eigentliche Ursache längst behoben ist. Das passiert oft bei Bandscheibenvorfällen. Hierbei drückt eine geschädigte Bandscheibe auf die umliegenden Nerven, was zu starken Schmerzen führt, die in Rücken, Beine oder sogar Arme ausstrahlen können. Wird der Nerv über längere Zeit gereizt, kann das Nervensystem „überempfindlich“ werden. Es entsteht ein Schmerzgedächtnis oder sogenanntes „zwischengeparktes Triggern“: Das Gehirn reagiert dann auf kleinste Reize mit Schmerzen, obwohl der Bandscheibenvorfall vielleicht schon behandelt wurde. Die Warnleuchte im Körper bleibt an, selbst wenn es keinen akuten Grund mehr dafür gibt. In solchen Fällen sprechen Fachleute von chronischen Schmerzen.
„Es ist wichtig, funktionelle Ursachen des Bandscheibenvorfalls zu verstehen.“

Um diese Schmerzen zu lösen, ist es wichtig, das gesamte System und die funktionellen Ursachen des Bandscheibenvorfalls zu verstehen – insbesondere, wenn es keinen klaren äußeren Auslöser wie einen Unfall oder eine Verletzung gibt. Oft sind Fehlhaltungen, einseitige Belastungen oder Schwächen in der muskulären Instabilität die Ursache. Diese Faktoren müssen erkannt und gezielt angegangen werden, um das Schmerzgedächtnis zu beruhigen und die Beschwerden zu lindern.
Aktiv gegen den Rückenschmerz
Mit der digitalen Therapie-App medicalmotion können Sie aktiv etwas gegen Schmerzen (z. B. Rückenschmerzen) tun. Ergänzend zur fachärztlichen Behandlung erhalten Sie hier tägliche Trainingsempfehlungen, die auf Ihren Schmerzzustand zugeschnitten sind. Mehr erfahren Sie auf unserer Webseite unter www.audibkk.de/medicalmotion
Die App finden Sie im App Store (für Apple) oder bei Google Play (für Android).
Was hilft denn dann gegen den Schmerz?
Ein nachhaltiger Umgang mit Rückenschmerzen erfordert nicht nur eine symptomatische Behandlung, sondern eine umfassende Therapie, die verschiedene Ansätze durch intradisziplinäre Zusammenarbeit kombiniert und individuell anpasst. Dabei ist es besonders wichtig, die Ursachen der Schmerzen zu verstehen und eine ganzheitliche Betrachtung einzunehmen. Neben Rückenschmerzen können oft auch andere Schmerzen oder Beschwerden auftreten oder schon vorhanden sein, die berücksichtigt werden müssen. Lebensstilfaktoren wie Stress, Bewegungsmangel, für den Rücken ungünstiges Training, Schlafmangel oder ungesunde Ernährung spielen, wie bereits gesagt, ebenfalls eine große Rolle.
Eine Therapie muss daher vor allem individuell gestaltet und alltagstauglich sein. Das bedeutet, dass die Maßnahmen auf die persönlichen Bedürfnisse, Einschränkungen und Ziele der Betroffenen zugeschnitten sind. Gleichzeitig sollte die Therapie einfach in den Alltag integriert werden können, um eine langfristige Umsetzung zu ermöglichen.
Und wann ist eine Operation an den Bandscheiben nötig?
Eine OP ist unumgänglich, wenn konservative Behandlungen keine Wirkung zeigen oder spezifische Symptome auftreten, die auf schwerwiegende Probleme hinweisen. Solche „Red Flags" umfassen plötzliche und starke neurologische Ausfälle, Symptome des Cauda-equina-Syndroms (Harn- und Stuhlinkontinenz oder Reiterhosenparästhesien) und/oder anhaltend starke Schmerzen, die nicht durch andere Therapien gelindert werden können. In solchen Fällen kann eine operative Behandlung eine sinnvolle Möglichkeit sein, um dauerhafte Schmerzen und Schäden zu reduzieren beziehungsweise zu verhindern.
Übungen: So lockern und mobilisieren Sie Ihre Lendenwirbelsäule
Aktives dreidimensionales Sitzen mit funktioneller Atmung
Setzen Sie sich aufrecht auf einen Stuhl und verschränken Sie die Hände hinter dem Kopf. Bei Schulterschmerzen können Sie ein Handtuch hinter dem Kopf halten und so Stress oder Schmerz verhindern. Atmen Sie angenehm rhythmisch durch die Nase ein und langsam durch den Mund aus. Ziehen Sie beim Aufrichten die Schulterblätter leicht nach hinten. Während der Atmung führen Sie kleine diagonale Rotationsbewegungen mit dem Bauchnabel nach links und rechts, ähnlich wie wenn Sie einen Reißverschluss nach oben ziehen wollen, aus.
Atmen Sie während der gesamten Übung angenehm rhythmisch durch die Nase ein und langsam durch den Mund aus. Denken Sie dabei immer an den Reißverschluss. Das hilft, Spannungen im vorderen Bauchbereich zu lösen und den Körper zu entspannen.

Tanzende Hüfte
Legen Sie sich bequem auf den Boden und achten Sie darauf, dass Sie eine weiche Unterlage für einen schmerzfreien Bodenkontakt haben. Lassen Sie Ihren Körper entspannt ruhen.
Schieben Sie nun abwechselnd den linken und rechten Hüftknochen sanft in Richtung der Füße. Dadurch entsteht eine leichte Kippbewegung im Becken, die Ihre Hüfte mobilisiert. Diese sanfte Bewegung hilft, Verspannungen in der Bauch- und Rückenmuskulatur zu lösen und die Spannung im unteren Rücken zu reduzieren (gegebenenfalls ein Handtuch oder kleines Kissen unterhalb von Hals und Nacken benutzen). Die Lendenwirbelsäule sollte immer am Boden liegen, beziehungsweise leicht in Richtung Boden gedrückt werden.
Atmen Sie während der Übung angenehm rhythmisch durch die Nase ein und langsam durch den Mund aus, um die Entspannung zu unterstützen. Denken Sie dabei immer an den Reißverschluss.

Kniependel
Legen Sie sich auf den Rücken und stellen Sie die Beine auf. Lassen Sie die Knie langsam und kontrolliert diagonal nach links und rechts sinken. Der Kopf bewegt sich leicht in die gegengesetzte Richtung, so dass eine diagonale Streckung entsteht. Wenn Sie wollen, können Sie Ihren Nacken dabei mit einem Handtuch oder einem kleinen Kissen abstützen.
Spüren Sie, wie die Rotation in der Hüfte und die diagonale Bewegung der Knie nach schräg unten eine neue Mobilität im unteren Rücken- beziehungsweise in Lende, Becken und Hüftbereich schafft.
Führen Sie die Übung sanft und ohne ruckartige Bewegungen aus. Atmen Sie dabei angenehm rhythmisch durch die Nase ein und langsam durch den Mund aus, um die Entspannung und Lockerung der Muskulatur zu unterstützen. Die Lendenwirbelsäule sollte immer am Boden sein, beziehungsweise leicht in Richtung Boden gedrückt werden. Denken Sie dabei immer an Reißverschluss.

Hüftheber
Legen Sie sich auf den Rücken und stellen Sie die Fersen auf den Boden. Achten Sie darauf, dass Ihr Gewicht auf den Fersen liegt, um die Muskulatur zu aktivieren sowie die Belastung optimal zu verteilen. Gleichzeitig können Sie diese für die Übung zu nutzen.
Ziehen Sie Ihren Bauchnabel sanft in Richtung Kinn (beim Einatmen). Spannen Sie Ihr Gesäß an und heben Sie die Hüfte dynamisch und kontrolliert in Richtung Kinn, dann zur linken und zur rechten Schulter. Genießen Sie die Mobilität, beziehungsweise das Wohlgefühl in Gesäß, unterem Rücken und Bauch.
Atmen Sie rhythmisch durch die Nase ein und langsam durch den Mund aus und führen Sie die Bewegung ruhig aus. Es sollte sich angenehm für Sie anfühlen. Nutzen Sie Ihren Kopf auf dem Boden aktiv bei der Übung mit.
Variation: Sie können die Übung in kleinen Wippbewegungen, oder auch nach links und rechts schwingend, durchführen, um die Muskulatur zusätzlich zu aktivieren und Ihre Stabilität weiter zu verbessern.
Bei akuten Schmerzen kann das Gesäß auf dem Boden bleiben. Drücken Sie es mit den Fersen zusammen nach links und rechts in Richtung Kinn und in Richtung der Schultern. Atmen Sie dabei durch die Nase ein und langsam durch den Mund aus. Die Lendenwirbelsäule sollte immer am Boden sein, beziehungsweise leicht in Richtung Boden gedrückt werden. Denken Sie dabei immer an Reißverschluss.

Bildnachweis
Artikeleinstieg: istockphoto.com/VioletaStoimenova
Porträtfoto Edo Hemar: Edo Hemar
Fotos der empfohlenen Übungen: medicalmotion