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Epigenetik: Es schlummert in uns allen

Dass Sport gesund ist, ist nichts Neues. Aber wussten Sie auch, dass Sie mit Bewegung Ihre Gene verändern können? Und damit nicht nur Ihre eigene Gesundheit beeinflussen, sondern auch die Ihrer Nachfahren?

Unsere Gene galten von jeher als feststehender Fahrplan: für unser Aussehen, unsere Talente, unsere körperliche Ausstattung. Gebündelt in der DNA, sind sie die Bauanleitung für unseren Körper. Unser Geschlecht, wie groß wir werden, Haar- oder Augenfarbe: Sämtliche Erbinformationen sind in der DNA hinterlegt – auch unser Krankheitsrisiko. So sind manche Menschen aufgrund ihrer Erbanlagen anfälliger für bestimmte Erkrankungen wie Krebs, Diabetes oder Bluthochdruck. Und hier kommt die gute Nachricht: Ob sie tatsächlich daran erkranken, ist keine Frage des Schicksals.

Wir selbst haben einen deutlichen Einfluss darauf, unseren Körper gegen Erbkrankheiten zu wappnen. Wie das gehen soll? Zum Beispiel durch Bewegung. Die Epigenetik, ein Teilgebiet der Biologie, das sich mit zellulären Prozessen beschäftigt, hat die Wechselwirkung von körpereigenen und äußeren Einflüssen auf unsere Gesundheit verstärkt in den Blick genommen. Die bahnbrechende Erkenntnis: Wir sind zwar durch unser Erbgut – das Genom – vorprogrammiert, können dies aber gezielt verändern.

Bewegung verändert die Gene

Eine der größten Stellschrauben ist Bewegung. Was sich da genau abspielt, erforscht Prof. Wilhelm Bloch von der Sporthochschule Köln. Seit rund zwanzig Jahren widmet sich der Sportmediziner der spannenden Frage, was Bewegung mit unserem Genom macht und welchen Effekt das auf unsere Gesundheit hat. „Es ist im Zuge der Forschungen immer klarer geworden, dass verschiedene Einflussfaktoren unser Genom verändern“, so Bloch. „Ein aktiver Lebensstil spielt da eine entscheidende Rolle.“ Treiben wir Sport, aktiviert dies epigenetische Prozesse in unseren Zellen. Diese molekularen Mechanismen sorgen dafür, dass Gene stärker oder schwächer abgelesen werden – und erblich bedingte Krankheitsrisiken damit gesenkt werden können. 

Das Krebsrisiko senken

Der positive Einfluss von Sport auf das Krebsrisiko ist bereits recht gut erforscht und liefert eindrucksvolle Zahlen: „Je nach Krebsart können wir durch Sport das Risiko zwischen zehn und 40 Prozent reduzieren“, erklärt Wilhelm Bloch. „Bei Brustkrebs beispielsweise bis zu 30 Prozent, bei Darmkrebs ist es zum Teil noch wesentlich höher. Als Richtwert: Wenn man in der Woche sechs Stunden moderat läuft oder walkt, reduziert man sein Darmkrebs-Risiko um 40 Prozent.“ Ein starkes Präventionswerkzeug, das uns allen zur Verfügung steht – gratis und leicht umsetzbar.
 

„Man kann bei einem erhöhten Krankheitsrisiko durch eine Lebensstilveränderung wie beispielsweise mehr Bewegung auf das Epigenom einwirken, so die genetischen Nachteile möglichst abmildern und die Vorteile stärker hervorbringen.“ 

Prof. Wilhelm Bloch, Sportmediziner an der Sporthochschule Köln

Die heilsame Wirkung von Sport

Neben der Vorbeugung hat der Sport noch eine weitere Kraft, nämlich eine heilsame. „Es wird immer klarer, dass Sport in der Rehabilitation hilft, den Krebs zu überwinden“, so Prof. Bloch. Das Prinzip: Wir alle haben in unserem Körper natürliche „Killerzellen“. Sie erkennen Tumorzellen, greifen sie an und können sie zerstören. Diese Killerzellen können unterschiedlich aktiv und demnach stärker oder schwächer sein. „Und unsere Forschung hat gezeigt, dass die Aktivität dieser Zellen bei trainierten Menschen sowie nach dem Sport höher ist.“ Daher steht immer stärker im Fokus, Sport als unterstützendes Element in die Reha zu integrieren, um die Effekte zu verstärken. Sport allein kann nicht heilen, aber den Genesungsverlauf unterstützen. Der Effekt ist nicht auf Krebs beschränkt. Auch bei Herz-Kreislauf- oder Stoffwechselerkrankungen wie beispielsweise Typ-2 Diabetes kann sich ein aktiver Lebensstil nachweislich positiv auf stoffwechselrelevante Gene auswirken und damit das Erkrankungsrisiko senken.

Welcher Sport-Typ sind Sie?

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Optimiertes Erbgut für unsere Nachkommen

Und wem die eigene Gesundheit nicht schon Motivation genug ist, den kann vielleicht dies überzeugen: Wie die Epigenetik nachweisen konnte, wirkt diese „Neuprogrammierung“ unserer Zellen langfristig. Das heißt, dass auch unsere Nachfahren davon profitieren, weil wir ihnen ein optimiertes Erbgut weitergeben. Wie schnell diese Weitergabe funktioniert, hat eine Studie der Universität Lund in Schweden untersucht. Das Team um die Epigenetik-Professorin Charlotte Ling hat stark übergewichtige Schwangere daraufhin untersucht, ob sich eine Lebensstilveränderung in der Schwangerschaft auf das
Erbgut des Babys auswirkt. Die werdenden Mütter durchliefen ein tägliches Sportprogramm sowie eine gesunde Diät. Das Ergebnis war verblüffend: Es zeigten sich tatsächlich schon epigenetische Veränderungen im Erbgut der Babys auf. Viele der veränderten Gene der Babys regulieren die Entstehung von Fettgewebe und Muskeln oder beeinflussen die Verdauung. Gleichzeitig hatten diese Babys mehr Muskelmasse als die Kinder der Mütter einer zweiten Kontrollgruppe, die ihrem gewohnten Lebensstil treu geblieben war. 

Wie stark wir unsere Gene beeinflussen können, ist tatsächlich individuell verschieden. „Die Menschen reagieren unterschiedlich auf sportliches Training, je nachdem, wie sie körperlich aufgestellt sind“, sagt Wilhelm Bloch. „Aber das ist im Endeffekt das Feintuning. Was da geschieht, ist ein großes Programm, eine große Sache.“ So groß, dass auch selbsternannte Epigenetik-Coaches das Thema umsatzstark für sich entdeckt haben. Deren Dienstleistungen können allerdings einen ärztlichen Rat nicht ersetzen. 

Epigenetik und die Medizin der Zukunft

Klar ist, dass die Epigenetik wahrscheinlich die Medizin der Zukunft beeinflussen wird. „Wir werden uns in Zukunft stärker anschauen können, wie das Lesebuch des Einzelnen aussieht“, so Bloch. Ist ein spezielles epigenetisches Muster erkennbar? Also eine erhöhte Anfälligkeit für spezielle Krankheiten? Wie ist das biologische Alter des Menschen? In den Augen des Experten könnte diese Analyse in absehbarer Zeit einfach durch den Hausarzt oder die Hausärztin mithilfe einer klassischen Blutabnahme geschehen. Liegt eine genetische Vorbelastung vor, können den Betroffenen individuelle Empfehlungen an die Hand gegeben werden. „Man kann seine klassischen Muster nicht komplett wechseln“, sagt Bloch. „Aber man kann bei einem erhöhten Krankheitsrisiko durch eine Lebensstilveränderung wie beispielsweise mehr Bewegung auf das Epigenom einwirken, so die genetischen Nachteile möglichst abmildern und die Vorteile stärker hervorbringen.“ Mit diesem Wissen fällt doch der Sprung in die Sportschuhe direkt ein bisschen leichter, oder?

Artikeleinstieg: AleksandarGeorgiev (istockphoto.com)
Beitragsbild: Airfit (pexels.com)
Beitragsbild: FatCamera (istockphoto.com)
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