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Altern ohne Ende?

Die Alternsforschung ist in den vergangenen Jahren verstärkt in den Fokus der Wissenschaft gerückt. Doch bedeutet ein besseres Verständnis des Alterns auch, dass wir Menschen in Zukunft dank Gentherapie oder Medikamentencocktails über 150 Jahre alt werden könnten?

Altern ist individuell

Die einen bekommen schon mit 20 Jahren graue Strähnen, die anderen finden mit 30 die ersten Lachfalten im Gesicht. Gleichzeitig entdeckt manch eine 50-Jährige noch ihre Leidenschaft fürs Marathonlaufen und einige über 60-Jährige stehen noch mit beiden Beinen fest im Berufsleben. Was macht unser Alter, unser Älterwerden eigentlich aus? Und warum altern wir überhaupt? Das sind Fragen, die auch die Wissenschaft diskutiert. Und egal ob man sie philosophisch, psychologisch, soziologisch oder biologisch betrachtet, die Antwort ist immer ähnlich: Altern ist komplex.

Prozess auf vielen Ebenen

Das sagt auch Christoph Englert, Professor für molekulare Genetik am Leibniz-Institut für Alternsforschung in Jena. Er beschäftig sich mit biologischen Aspekten des Alterns.

„Die Ursachen des Alterns sind auf ganz vielen verschiedenen Ebenen zu finden“

Christoph Englert, Professor für molekulare Genetik am Leibniz-Institut für Alternsforschung in Jena

Da ist beispielsweise die UV-Strahlung der Sonne, die unsere DNA ununterbrochen bombardiert. „Das sorgt für winzige Schäden in unserem Erbgut – und zwar millionenfach, jeden Tag. Zwar kann unser Körper viele dieser Schäden reparieren, aber eben nicht alle“, erklärt der Biochemiker. Was übrig bleibt, sind DNA-Schäden, die sich im Laufe des Lebens anhäufen und ein wichtiger Teil des Alterungsprozesses sind.

Dann ist da aber auch noch der Verschleiß der Telomere – Schutzkappen, die die Enden unserer Chromosomen bilden. Da sind alternde Stammzellen, die immer schlechter in der Lage sind, Organschäden zu reparieren, oder nachlassende Mitochondrien, unsere „Zellkraftwerke“, die weniger Energie für unsere Zellen bereitstellen. Um nur einige Gründe zu nennen. Professor Englert beschreibt diese Komplexität so: „Der Alterungsprozess reicht wirklich vom Molekül bis zum Gesamtorganismus. Wir haben zwar ein einigermaßen gutes Verständnis über einige Aspekte, die zum Altern führen. Aber völlig verstanden haben wir den Prozess noch nicht.“

Resilienz als wichtiger Faktor

Doch auch wenn uns das Altern alle betrifft – es trifft nicht jeden gleich. Das gilt innerhalb der Spezies Mensch, aber auch mit Blick auf andere Lebewesen. Der Gönlandhai kann bis zu 300 Jahre alt werden, eine Fruchtfliege lebt nur wenige Stunden. Warum werden Organismen, die auf demselben Planeten entstanden sind, so unterschiedlich alt? Eine wichtige Ursache sieht Englert in der Fähigkeit der jeweiligen Spezies, mit Stress umzugehen – und zwar physischem Stress, beispielsweise in Form von besagten DNA-Schädigungen durch UV-Strahlung oder anderen Umwelteinflüssen. „Es gibt Studien, die zeigen, dass Tierarten, die besonders lange leben, auch besonders gut darin sind, beschädigte Gene zu reparieren und ihren Körper vor Umweltgiften zu schützen“, sagt Englert. Sie haben einfach gute Mechanismen entwickelt, um physischen Stress zu verarbeiten.

Innere Ruhe fördert das Älterwerden

Dazu gehören übrigens auch wir Menschen. Wir haben fantastische Entgiftungssysteme in jeder unserer Zellen, vor allem in der Leber. Dadurch können wir gut mit Umweltgiften umgehen, sie unschädlich machen und wieder ausscheiden. „Andere Lebewesen, die kurzlebiger sind, betreiben da nicht so einen großen Aufwand. Beispielsweise weil bei ihnen die Reproduktion im Vordergrund steht“, erklärt der Alternsforscher. Körperliche Resilienz gegen Umwelteinflüsse spielt also eine große Rolle, wenn es um Langlebigkeit geht. Es gibt aber noch einen weiteren wichtigen Aspekt: psychische Resilienz, also mentale Widerstandsfähigkeit. Es gibt Hinweise darauf, dass Menschen, die sehr resilient gegen Stress sind und sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen lassen, eine höhere Lebenserwartung haben

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Stress lässt uns schneller altern. Zwar lässt sich dieser nicht immer vermeiden, aber mit dem richtigen Zeitmanagement können wir uns mehr Luft im Alltag verschaffen. Wie gut ist Ihr Zeitmanagement? Machen Sie den Selbsttest und erfahren Sie, wie Sie Ihren Alltag entschleunigen:

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Das zeigt: Wir können unseren Alterungsprozess durch unseren Lebensstil aktiv beeinflussen. „Es ist völlig klar, dass Verhaltensweisen wie Rauchen, Alkohol trinken und wenig Bewegung einen negativen Einfluss auf unsere Lebenserwartung haben. Im Gegenzug können ausreichend Aktivität, eine ausgewogene Ernährung und ein gutes Sozialleben zu einer höheren Lebenserwartung beitragen“, resümiert der Forscher. Und auch ein gesunder Umgang mit psychischem Stress trägt zu einem längeren Leben bei.

Seltene genetische Kombination

Aber was ist mit Menschen wie Altkanzler Helmut Schmidt? Der im Alter von 96 Jahren verstorbene SPD-Politiker war leidenschaftlicher Kettenraucher, am liebsten Menthol-Zigaretten. Professor Christoph Englert glaubt, dass Menschen wie der Altkanzler genetisch besonders robust programmiert sind. „Schmidt hat gerne was getrunken und viel geraucht und er ist trotzdem sehr alt geworden. Vermutlich, weil er genetisch sozusagen privilegiert gewesen ist“, so Englert. „Wir gehen heute davon aus, dass die Menschen, die sehr alt werden, die sogenannten Supercentenarians jenseits der 110, eine ganz bestimmte, sehr seltene Kombination von Genvarianten besitzen, die sie eben so alt werden lässt.“

Wenn also vieles stimmt – Resilienz gegen Umwelteinflüsse, unsere Lebensweise, aber auch unsere Gene –, kann unser menschliches Leben wirklich lang sein. Das mögliche biologische Höchstalter des modernen Homo sapiens wird auf rund 120 Jahre geschätzt. Die Französin Jeanne Calment wurde laut Guinnessbuch der Rekorde sogar 122 Jahre alt. Mit diesem Alter knackte die 1997 Verstorbene den engen Kreis der Supercentenarians. Wenn unsere Gene offensichtlich so wichtig für unseren Alterungsprozess sind, könnte es dann nicht in Zukunft eine Pille der ewigen Jugend, einen Jungbrunnen in der praktischen Blister-Verpackung, geben?

Werden wir immer älter?

Möglichkeiten, unsere Gene zu beeinflussen, gibt es auf jeden Fall. Zum Beispiel die Gen-Schere CRISPR. Der Forschungsgruppe rund um Professor Englert ist es mit diesem molekularbiologischen Verfahren beispielsweise gelungen, Gene kleiner Fische an- und auszuschalten. Dabei seien sie aber noch weit davon entfernt, das Leben der Fische zu verlängern, betont der Wissenschaftler. Die Forschung steht hier noch ziemlich am Anfang.

Dennoch fasziniert die Suche nach dem vermeintlichen Jungbrunnen von jeher – auch, oder vielleicht insbesondere, die Reichen und Mächtigen. Wer es sich aus dieser Riege leisten kann – und will –, investierte in den vergangenen Jahren beispielsweise in das US-amerikanische Unternehmen Altos Labs, das als Hotspot der Alternsforschung gilt. Das Ziel: Anti-Aging Therapien entwickeln, den menschlichen Alterungsprozess aufhalten oder sogar rückgängig machen. In Kalifornien werden dafür die renommiertesten Fachleute auf dem Gebiet der Alternsforschung zusammengezogen. Hintergrund ist die Entdeckung des japanischen Nobelpreisträgers und Arztes Shinya Yamanaka, Zellen jedweden Alters verjüngen und wieder in Stammzellen verwandeln zu können. Altos Labs setzt mit Yamanaka als wissenschaftlichem Berater und viel Geld darauf, dieses Pänomen der sogenannten Reprogrammierung auf den Menschen anwenden zu können. Christoph Englert sieht diese Bestrebungen mit vorsichtiger Zurückhaltung: „Das ist im Moment wahnsinnig gehypt, aber es ist auch vollkommen offen, was und ob jemals etwas dabei herauskommen wird.“

„Bei 120 Jahren ist Schluss“

Sogar Fachleute scheinen der Anziehungskraft der ewigen Jugend nicht widerstehen zu können. „Es gibt ein paar Kollegen, vor allem in den USA, aber auch in Europa, die, ohne mit der Wimper zu zucken, ganze Cocktails von Pillen einnehmen. Sie glauben, dass sie das länger leben lässt“, erzählt Molekularbiologe Englert. Diesen Präparaten werden zwar lebensverlängernde Eigenschaften nachgesagt, sie wurden jedoch oft für ganz andere Zwecke, nämlich zur Behandlung von speziellen Erkrankungen entwickelt. „Ich halte das für äußerst problematisch.“

Der Wissenschaftler glaubt, dass dem Menschen die Altersgrenze von 120 Jahren bleiben wird. Unseren 150. Geburtstag werden wir aus Englerts Sicht wohl nie feiern – zu komplex und vielfältig sind die Gründe des Alterns, um den Prozess einfach „ausschalten“ zu können. „Meine Voraussage: Bei 120 Jahren ist Schluss – mit dem einen oder anderen Ausreißer“, meint der Forscher. Etwas Hoffnung bleibt aber: Die mittlere Lebenserwartung ist in den letzten 150 Jahren aufgrund guter Lebensbedingungen und neuer Behandlungs- sowie Therapiemöglichkeiten dramatisch gestiegen. Es gibt also zunehmend mehr Menschen, die die Hundertergrenze locker überspringen – und das ist doch auch schon was.

Bildnachweis

Artikeleinstieg: Rob und Julia Campbell (stocksy.com)
Portrait: FLI/Nadine Grimm
Beitragsbild: Paperkites (istockphoto.com)
Beitragsbild: swissmediavision (istockphoto.com)

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