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Nichtstun: Wenn das Gehirn aufräumt

Nur wer immer aktiv ist, ist auch wirklich erfolgreich – oder? Wir haben mit der Psychiaterin und Psychotherapeutin Dr. Iris Hauth über die Bedeutung des Nichtstuns für die Psyche gesprochen.

"Das ständige Aktivsein, ohne sich Ruhe zu gönnen, birgt die Gefahr, nicht mehr abschalten zu können, auch wenn man es möchte."

Dr. Iris Hauth

Immer beschäftigt zu sein – egal ob auf der Arbeit oder in der Freizeit – ist für viele normal. Pausen werden dabei oft schon einmal vergessen. Wie wirkt sich die Daueraktivität auf unsere Psyche aus?

Genau wie der Körper braucht auch das Gehirn einen Wechsel von Anspannung und Entspannung. Das ist das Grundprinzip des Lebens, das auch auf das Gehirn und die Psyche zutrifft. Das ständige Aktivsein, ohne sich Ruhe zu gönnen, birgt die Gefahr, nicht mehr abschalten zu können, auch wenn man es möchte. So kommt man unerholt aus dem Wochenende oder dem Urlaub. Die Folgen können sein, dass man sich nicht mehr konzentrieren kann, keinen Antrieb hat oder ein Erschöpfungssyndrom bekommt. Dieser Zustand erhöht das Risiko, Depressionen und Angstzustände zu entwickeln.

Was passiert mit unserem Gehirn, wenn wir nichts tun?

Das Gehirn ist immer aktiv – auch in den Phasen, in denen wir nichts tun. Selbst wenn wir einfach nur tagträumen, wissen wir durch die modernen Verfahren der MRT, dass Regionen des Gehirns aktiv sind, die es bei einem zielgerichteten Denken nicht sind. Sozusagen ein Autopilot-Status. Das Gehirn räumt auf: wirft die Sachen raus, die nicht notwendig sind; speichert die notwendigen ab. 

Aber man reflektiert sich auch selbst. Man kennt das: Es gibt ein Problem und plötzlich kommt einem in so einem Ruhemoment die Lösung. Also: Kreativität kann durch das Nichtstun auch verstärkt werden. Und deswegen ist es eben wichtig, dass man zwischenzeitlich auch solche Pausen hat, in denen das Gehirn nicht bewusst von uns gesteuert wird.

Vielen fällt es schwer, sich und ihre Gedanken treiben zu lassen: Haben wir durch Smartphone, Social Media und Co. das Nichtstun verlernt?

Es ist wichtig, dass wir uns bewusst diese Zeiten einplanen. Da sehe ich das Problem in der jetzigen Situation. Alle haben das Gefühl, wenn sie nicht ständig auf das Handy schauen, verpassen sie etwas. Die andere Seite – bewusst nichts zu tun – wird in der Regel als langweilig und negativ beurteilt. Das führt dazu, dass wir kein Gefühl mehr dafür haben, wann Pausen wichtig sind. 

Betrifft die Unfähigkeit zur Untätigkeit bestimmte Personengruppen besonders?
Es trifft eher Menschen, die sehr leistungsorientiert sind und die ihr Selbstwertgefühl über Leistung generieren. Sie können sich nicht wertschätzen und glauben auch, von anderen nicht wertgeschätzt zu werden, wenn sie nicht ständig aktiv sind und etwas vorweisen können. Diese Menschen erbringen im Beruf hohe Leistungen, müssen aber auch im Privatleben immer etwas tun. Oft ist ihr Selbstwertgefühl in einer schwachen Balance und wird eben nur dadurch genährt, dass sie irgendetwas tun.

Das ist sicher eine Entwicklung der letzten Jahrzehnte – noch mal verstärkt durch die Digitalisierung und Social Media. Ich zitiere mal das alte Wort „Muße“, das ja völlig altmodisch geworden ist. Bei den alten Griechen hat Muße sogar den wesentlichen Teil des Tages ausgemacht und war etwas Normales und positiv Bewertetes. Und das hat sich in Zeiten der Beschleunigung und Selbstoptimierung verändert.

Und wie lernen wir wieder, einfach mal nichts zu tun? Und wie sieht das ideale Nichtstun aus?

Wir wissen, was wir tun müssen, um körperlich fit zu bleiben. Das Wissen um seelische Balance ist noch sehr wenig verbreitet. Der erste Schritt ist, sich bewusst zu machen, was meine Psyche eigentlich braucht. Im nächsten Schritt sollte man das Nichtstun mit einer anderen Wertung versehen: als hilfreiche Zeit, um sich psychisch gesund zu halten. Kein schlechtes Gewissen haben. Dann ist es wichtig, sich in der Woche Zeiten einzuplanen, in denen man nichts tut. 

Die Frage ist: Kriegt man das auch hin? Viele Menschen sind schnell gelangweilt und geraten in Unruhe. Hilfreich ist dabei, Entspannungsmethoden zu lernen, damit man ein Ritual hat, um die Ruhephase einzuleiten. Zehn Minuten autogenes Training, Yoga, progressive Muskelrelaxation oder auch Meditation, um zur Ruhe zu kommen. Danach sollte jeder individuell prüfen, was ihm persönlich guttut. Der eine sitzt gerne auf der Bank im Park, der andere wohlig im Sessel mit einer Tasse Kakao. Entscheidend ist, dass das Setting ein angenehmes Gefühl gibt. 

Daueraktivität kann uns schaden, gilt das Ganze auch andersherum? Welche Konsequenzen hätte ständiges Nichtstun für die Psyche?

Das unterfordert das Gehirn. Unterforderung hat zur Folge, dass Konzentration und Kreativität nicht mehr so schnell abrufbar sind. Bei vielen Menschen verursacht das auch einen verminderten Antrieb und letztlich auch Niedergeschlagenheit, weil das Gehirn keine Anreize mehr bekommt. Das führt letztendlich auch zu einer Art Erschöpfungssyndrom. Wichtig ist wie gesagt immer der Wechsel zwischen Anspannung und Entspannung.

Zum Schluss: Haben Sie vielleicht einen persönlichen Ratschlag zum Nichtstun? 

Ich plane mir am Wochenende sehr bewusst Zeiten der Muße ein. Wichtig ist, dass man sich Zeiten festlegt und ein Ritual hat, durch das man in den Entspannungszustand kommt, und dann das Gehirn einfach frei wandern lässt. 

Bildnachweis

Boy Anupong (GettyImages.com)

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